Batumi
Batumi ist die erste Großstadt, die ich nach dem Grenzübergang Türkei – Georgien erreiche. Die Hafenstadt gilt für viele Touristen aus Europa als Tor zum Kaukasus. Sie kommen per Schiff übers Schwarze Meer aus Burgas/Bulgarien oder Odessa/Ukraine. Von hier aus lässt sich die Kaukasus-Region gut erschließen. Batumi ist Boomtown. Entlang des Küstenstreifens entsteht ein zweites Las Vegas. Hotels und Casinos wachsen in den Himmel. Der quirlige Strand-Boulevard, ist eine weitläufige Kultur und Tourismusmeile mit vielen Restaurants und Bars. Hinter dieser Glitzerwelt suche ich mir in der dunkleren Hinterstadt ein Hostel.
Zum ersten Mal auf meinen Reisen möchte ich diese Art der Unterkunft ausprobieren. Über Booking.com wähle ich das Retro-Hostel aus. Mechmed, der Manager, begrüßt mich ganz aufgeregt und zeigt auf mein Nummernschild. Er sei in Großlangheim bei Würzburg groß geworden und vor einigen Jahren über seine Heimat Türkei nach Batumi gekommen. Später wird er mir erzählen, dass er für die türkische Armee im Einsatz war und dort „alles erlebt hat, was man erleben kann“ – sein eisiger Blick würgt jede vertiefende Frage dazu ab.
Nach der Besichtigung der Zimmer stelle ich fest, dass ich nicht der Hostel-Typ bin. Ich will schon gehen, da entdecke ich gleich nebenan ein leerstehendes Ladengeschäft, das zur Vermietung steht. Mechmed meint, dass die Ladenfläche dem Hostel-Eigentümer gehört und man einen Mieter sucht. Ich schlage ihm spontan vor mein Zelt in dem Laden aufzubauen. Er grinst und nimmt mich zunächst nicht ernst. Im ersten Stock gibt es sogar eine neue Toilette und Dusche. Also baue ich mein Zelt hinter einem Schaufenster auf. Aus „for rent“ wird „for tent“ für eine Nacht – läuft!
Goderzi Pass
Mein primäres Ziel in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien ist die Region Kachetien. Sie liegt östlich von Tiflis an den Südhängen des Kaukasus und gilt als Wiege des Weinbaus. Von Batumi aus führt eine unbefestigte Landstraße in diese Richtung, die reichlich Gravel und einen kurvigen Pass bietet. Das Offroad-Abenteuer beginnt. Der Goderdzi Pass mit dem Restaurant Edelweiß liegt auf 2.027 m.
Auf dem Weg dorthin kommt man an der sehenswerten Dandalo Steinbrücke aus dem 12. Jh. vorbei, die heute noch begehbar ist.
Insgesamt bin ich vier Stunden auf grobem Schotter unterwegs. Das Skigebiet, das oben am Pass ausgebaut wird, ist nur mit Allrad-Antrieb zu erreichen. Die Sonne kommt erst bei der Abfahrt raus und beleuchtet eine weite grüne Landschaft.
Am Ende des Goderdzi Passes, exakt da, wo der Schotter aufhört und der Asphalt anfängt, liegt rechts oberhalb der Straße das Kloster Zarzma. Neugier, Durst und Hunger treiben mich dort hin.
Kloster Zarzma
Als ich mein Motorrad vor dem Kloster abstelle, weiß ich noch nicht, dass ich die nächsten drei Tage mit den Mönchen wohnen und leben werde. Elf Brüder laden mich spontan zum Essen ein. Sie fasten; deshalb gibt es kein Fleisch. Kartoffel und Gemüse schmecken lecker. Ein Teil der Mönche sind Lehrer an der Schule im Ort; für Musik, Mathematik und Englisch. Wir mögen uns.
Ich fühle mich wohl und geborgen in der Gemeinschaft. Ihre Frage, ob ich im Kloster übernachten möchte, bejahe ich ohne nachzudenken. Ich folge meinem Gefühl, spiele mit den lustigen Mönchen Fußball und wir witzeln herum. Nur bei den Gebetsstunden in der uralten Klosterkirche sind sie ernst.
Zarzma liegt auf einem Plateau, das einen tollen Blick auf die Berge und ins Tal bietet. Drei Tage und zwei Nächte bleibe ich. Ich erzähle Ihnen meine Geschichte. Sie beten für meine Familie. Zum Abschied bedanke ich mich für die besondere Zeit an dem heiligen Ort. Sie erwidern mit Worten, die noch lange nachwirken: „Du hast in Deinem Leben einen Sohn verloren und heute elf Brüder gewonnen.“Sie wollen kein Geld und schenken mir eine CD mit ihrer Chormusik. Ich frage nach der Kontonummer für eine Spende.
Auf einer Plastiktüte finde ich die Bankverbindung mit der Adresse.
„Liebe Brüder von Zarzma, es waren für mich unvergessliche Stunden in Eurer Gemeinschaft.
Vergelt‘s Gott!“
Höhlenstadt Wardzia
Beseelt und mit einem klaren Blick aufs Leben und die Welt fahre ich zu der Höhlenstadt Wardsia im Süden von Georgien. Die einstündige Fahrt hinein in den kleinen Kaukasus ist landschaftlich reizvoll.
Das Tal des Mtkwari weitet sich, um sich wieder zu einer Schlucht zu verengen.
Am Ende verliert sich der Blick auf die Höhlen in einer großflächigen Felswand.
Die Höhlenstadt Wardzia wurde vor fast 1.000 Jahren als Festung gegen die Türken und Perser gebaut. 3.000 Wohnungen haben Platz und Schutz für 50.000 Menschen geboten. Heute leben noch wenige Mönche in den Felsen. Sie führen die Touristen durch das Kulturdenkmal.
Mzcheta
Wieder zurück durchs Mtkwari-Tal fahre ich über die Kurstadt Barchomi nach Mzcheta, dem religiösen Zentrum der Georgisch Orthodoxen Kirche. Die beiden Flüsse Mtkvari und Aragvi kommen hier zusammen. Hoch oben auf dem Bergrücken kontrolliert ein Kloster schweigend das Geschehen über Stadt, Land, Fluß.
Georgiens älteste Kreuzkuppelkirche Jvari (Dschwari) zieht mich mit meinem Motorrad magnetisch an. Der Blick von oben auf die Alt-Stadt mit ihren Kirchen sowie auf die Flussmündung stimmt mich für den Abend ein. Hotel suchen, Essen gehen und für die Weiterreise planen – so sieht die Tour-Routine am Ende des Tages aus.
Tiflis, die moderne Hauptstadt Georgiens, ist für mich nur Durchgangsstation nach Telavi in Kachetien.
Telavi, das Oberzentrum von Kachetien, erreicht man über den 1.620 m hohen Gombori-Pass. Zwischen der Stadt und den Bergen des Kaukasus im Osten liegt ein breites, fruchtbares Tal. Fast alles dreht sich hier um Wein.
Man unterscheidet die alte traditionelle Weinproduktion von der modernen im „European Style“. In der traditionellen Methode wird die Maische in Tonamphoren, den sogenannten Quevri, vergoren und gelagert.
Die Quevri sind in der Erde vergraben und halten so eine konstante Temperatur. Es soll um die 500 Rebsorten mit überwiegend roten Trauben geben.
Gerne wird auch der hochprozentige Tresterbrand „Tschatscha“ getrunken. Eine Führung im Weingut Shumi in Tsinandali lohnt sich. 5.000 Jahre soll es in der Gegend Weinbau geben, teilt uns stolz die Dame mit, die uns durch ein kleines Museum führt. Nach Shumi besuche ich das naheliegende Museum Alexander Chavchavadze. Prinz Chavchavadze war im 18-19. Jahrhundert ein georgischer Dichter und General. Er hat die klassisch europäische Methode des Weinbau in Kachetien eingeführt.
Einen schönen Blick über das fruchtbare Tal hat man von der Sighnaghi. Auch auf die Besichtigung von Klöstern muss man in Kachetien nicht verzichten.
Bei all der Kultur und der Landwirtschaft in Kachetien lag mein Höhepunkt in den Bergen des Kaukasus. Die Tusheti – Road windet sich steil in unzähligen Kurven auf den Abano-Pass (2.826 m) in den Tusheti-Nationalpark hinein.
Omalo heißt das Ziel von fünf Stunden harter Motorrad-Arbeit über groben Schotter. Der Weg am Abhang wird von Kreuzen gesäumt, die an Menschen erinnern, die hier sterben mussten. Tusheti-Road zählt inoffiziell zu den zehn gefährlichsten Straßen der Welt.
Von Omalo aus bin ich noch nach Dartlo und Bochorma, die mit 2.345 m höchstgelegene ganzjährig bewohnte Gemeinde in Europa.
Ich kann nicht sagen, ob der Rückweg über die Tusheti – Road einfacher war als der Hinweg. Beides hatte seinen Reiz und sein Risiko.
Kachetien, der Abschied aus dem fruchtbaren Tal vor dem Kaukasus fällt schwer. Land und Leute haben mich fasziniert, Essen und Trinken sind köstlich. Egal was ich bestellt habe – auch ohne zu wissen was kommt – hat immer geschmeckt. Die Vielfalt und Qualität sind legendär. Die georgische Küche galt als Haute Cuisine der sowjetischen Küche.
Als letztes georgische Kloster habe ich Dawit Garedscha besucht. Alleine die Fahrt durch eine weite, karge Graslandschaft vorbei an trockenen Salzseen ist beeindruckend. Ganz nah an der Azerbaijanischen Grenze liegt das Kloster, das in einen Felsen gebaut wurde. Die Verbindung mit der Natur ist hier in Stein gemeißelt.
Die Straße nach Westen, Richtung Rustavi ist ein Schotterweg. Trotz drohenden Regenwolken fahre ich den Feldweg.
Ich war mir nie sicher, ob ich schon in Azerbaijan oder noch in Georgien bin. Menschen sieht man wenn, dann nur in Uniform, bei einer Übung mit Panzern und schwerem Gerät. Irgendwie komme ich dann doch noch in Rustavi an und suche mir eine Unterkunft; die letzte in Georgien. Morgen werde ich die Grenze nach Armenien überqueren.
Eine Antwort
Beeindruckend deine Zeilen zu lesen, nur mit der Ausdrucksweise der georgischen Wörtern habe ich Probleme, schön das du uns einen Landschaftsteil näher bringst von denen wir hier wenig wissen.